Nina Bayer klärt in unterschiedlichen Medien auf und äußert sich zum "Kinderthema".

Experteninterview: Die Patchwork-Familie

„Patchworken heißt Kommunikations- und Gefühls-Expertin zu werden.“
- Nina Bayer -

Wir haben Nina Bayer, psychologische Lebens- und Sozialberaterin und Coachin mit dem Spezialgebiet „Kinderthema“ zum Interview getroffen.
Sie ist Expertin für Kinderwunsch- und Patchwork-Themen. Im In- und Ausland hat sie seit ihrer Jugend Erfahrungen mit Patchwork-Familien gesammelt.

Nina Bayer

Wie definiert man eine Patchwork-Familie?

Die Patchwork-Familie beschreibt die Struktur einer Stieffamilie, wie es in der Rechtsprache exakt heißt. Eine Patchwork-Familie ist definiert als eine Familie, in der zumindest ein minderjähriges Kind mit seinem biologischen Elternteil aufwächst und dabei einer der Elternteile eine neue Partnerschaft eingegangen ist. Bis in unser Jahrhundert hinein galt eine Neuverheiratung, ohne dass der Partner gestorben wäre, als inakzeptabel. Stiefkinder waren also zumeist Waisen oder Halbwaisen. Dem Begriff „Stief“ haftete der Hauch des Todes an. In der heutigen Zeit entstehen neue Partnerschaften wesentlich einfacher, durch eine Scheidung und einer anschließenden Neuverheiratung oder eingetragenen Lebenspartnerschaft, die durchaus auch gleichgeschlechtlich sein kann.

Ein paar Zahlen...

Laut Mikrozensus-Arbeitskräfteerhebung lebten 2020 in Österreich insgesamt 2.460.000 Familien, darunter 1.751.000 Ehepaare und 420.000 Lebensgemeinschaften sowie rund 242.000 Mütter und 47.000 Väter in Ein-Eltern Familien. Laut Statistik Austria gab es in Österreich 2020 insgesamt 83.000 Familien mit Stiefeltern-/Stiefkind-Beziehungen. Bezogen auf alle 963.000 Familien mit Kindern unter 25 Jahren waren dies 8,6%. 69.000 Familien umfassten Stiefkinder unter 18 Jahren, 59.000 davon Stiefkinder unter 15 Jahren.

Vor welchen Herausforderungen steht die Patchwork-Familie?

Patchwork-Familien stellen eine gesellschaftliche Normalität dar. Das bedeutet nicht, dass das System reibungslos funktioniert. Patchwork braucht sehr viel Feingefühl, Geduld und Empathie. Nicht zu vergessen die Kommunikation. Rollenfindung, Unsicherheiten, Loyalitätskonflikte, Konkurrenzdenken und auch die Traurigkeit stehen im Zusammenhang mit Patchwork-Familien. Dazu gesellen sich nicht selten auch noch rechtliche Fragen wie Sorgerecht oder Unterhaltsregelungen. Und immer wieder beobachte ich spannungsgeladene Situationen, mit der Patchwork-Mitglieder konfrontiert werden.

Eine „normale Familie“ wächst langsam zusammen. Eine Patchwork-Familie ist man von einem Tag auf den anderen. Der Junggeselle findet sich plötzlich als „Vater“ von Schulkindern wieder oder die Mutter zweier Kleinkinder muss nun zwei weitere Teenager einkalkulieren. Oder die neue Partnerin, einst eingefleischter Single ohne Verpflichtungen, wird an Wochenenden womöglich mit den Kindern ihres Freundes und der Ex-Partnerin, die ihre Trennung immer noch nicht verdaut hat, konfrontiert. Das birgt Zündstoff.

Welche Fehler werden häufig in Patchwork-Familien gemacht?

„Der Zündstoff“ (siehe oben) sollte erkannt und als Aufgabe und vorteilhafte Chance angesehen werden. Diese Chancen werden meiner Beobachtung nach viel zu selten bis gar nicht genützt. Seinen eigenen Anteil erkennen, reflektieren und selbst daran wachsen wollen, sind sehr vorteilhafte Aufgaben für Patchwork-Mitglieder. Man kann erweitertes Bewusstsein erlangen oder auch seine emotionalen, sozialen und Empathie-Fähigkeiten ausbauen und ein wahrer Kommunikationsexperte werden.

Je weniger geschiedene Eltern streiten oder den ehemaligen Partner abblocken und je mehr sie es schaffen, ihre persönliche Unzufriedenheit von den Kindern fernzuhalten, desto weniger Verhaltensauffälligkeiten zeigen ihre Kinder.

Nina Bayer

Für Unruhe reicht nur ein Familienmitglied, für Streit braucht es mindestens zwei…

Einem Unruhestifter sollte niemals eine Bühne für Streit zur Verfügung gestellt werden. Zu selten wird sich die Frage gestellt: „Sucht der andere Streit oder eine Lösung?“ Oft steckt hinter „Streit suchen“ ein (oft auch nicht bewusstes) Bedürfnis „dem anderen (wieder) näher sein zu können.“ Diese meist unbewusste Taktik beobachte ich übrigens vermehrt bei Frauen. Fühlt man sich als Beteiligter nicht wohl, sollte ein Mediator zum Gespräch miteinbezogen werden. Das Gespräch wird professionell begleitet und erschwert Streitereien und „Spielchen spielen“.

Ich beobachte auch immer wieder, dass Gespräche zwischen Tür und Angel stattfinden. Ein guter Informationsaustausch der getrenntlebenden Eltern ist in jedem Fall sehr wichtig. Dieser sollte dem Kind zuliebe einmal im Monat gut zwischen den leiblichen Eltern organisiert werden. Familienkommunikation lässt sich nicht stoppen. Auch wer nichts sagt oder den Kontakt abbricht, vermittelt eine Botschaft. Die Inhalte sind meist für den Patchwork-Erfolg, für das Wohlergehen der Kinder, weniger wichtig als die Beziehungsebene. Und wie man über den Ex-Partner spricht, sagt mehr über einem selbst aus als über den Ex-Partner.

Ein konkreter Fall

Der frisch verlobte Vater ist verliebt und überglücklich mit seiner neuen Frau, und auch mit seinen Kindern aus einer anderen Beziehung. Von seiner inneren und äußeren Haltung, und wie er seine neue Frau in die alten Familienrituale mit einbezieht, hängt es ab, wie seine Kinder die neue Situation wahrnehmen und auch annehmen können:

1. Zeigt er sein Liebesglück ehrlich und offen, könnte dies in manchen Situationen als Abwendung in den Augen der Kinder gesehen werden. Die Kinder finden die 100% vertraute, gewohnte Einheit nicht wieder vor und sehen hier womöglich Gefahr, den Vater verlieren zu können. Der Startschuss für Unruhe. Denn die Schuld für ihre Verlustängste wird hier dann womöglich der Stiefmutter gegeben. Und die Kinder könnten bewusst und aber auch unbewusst Strategien entwickeln, um die neue Frau loszuwerden. Wurde die Exfrau verlassen, könnte dieses Verhalten beispielsweise der verlassenen Mutter sogar recht sein und im schlimmsten Fall gefördert werden.

2. Wird die neue Frau von den Kindern gerne angenommen, da sie immer gut drauf ist und oft lacht (vielleicht im Gegensatz zur Mutter, die ihre Trennung noch nicht gut verdaut hat), könnte die Mutter der Kinder doppelt eifersüchtig auf die neue Frau werden. Sie könnte auch Angst davor haben, nicht nur ihren Exmann, sondern auch ihre Kinder verlieren zu können.

3. Zeigt im Gegensatz der frisch verliebte Vater seine Glücksgefühle aus schlechtem Gewissen oder aus Schuldgefühlen heraus nicht offen vor seinen Kindern, könnte dies für die neue Frau verstörend wirken. Oft fühlen sich die neuen Frauen dann „wie in einem falschen Film“ oder gar wie ein Accessoire. Hier könnte es in der neuen Beziehung dann zu Problemen kommen.

Du bist nicht mein Papa/meine Mama, du hast mir gar nichts zu sagen…

Das Lebensalter des Kindes bestimmt die Zeit, ab der ein Stiefelternteil als Erziehungsperson angenommen wird. Bei einem Zweijährigen nach zwei Jahren, bei einer Sechsjährigen nach sechs Jahren. Ab dem neunten Lebensjahr ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass Stiefeltern tiefgreifende Erziehungsaufgaben übernehmen können. Die Stiefeltern sollten lieber die Eltern bei Erziehungsfragen unterstützen. Besser darüber reden, wenn die Kinder nicht im Raum sind. Das Zauberwort in der Patchwork-Familie lautet „Kooperation“.

Welche großen Probleme können in Patchwork-Situationen auftreten?

Beteiligte, die nicht bereit sind zu reflektieren, nicht kooperieren, nur über den Anwalt kommunizieren wollen oder Spielchen spielen, können der Patchwork-Familie Schaden zufügen. Weiters ist es nicht gerade förderlich, den Ex-Partner oder die Ex-Partnerin schlecht zu machen oder diese/n schlechter zu machen als er oder sie ist, oder auch andere Patchwork-Mitglieder in ihre eigene Negativspirale zu ziehen oder ihre eigenen Befindlichkeiten über die Bedürfnisse der Kinder zu stellen. So kann nicht nur der gesamten Patchwork-Familie, sondern auch der der Beziehung zu den Kindern und am allermeisten aber sich selbst Schaden zugefügt werden.

Auch gefährdet ein solch negatives Verhalten die psychische Gesundheit der Kinder. Hier muss richtig reagiert werden. Ich appelliere an jene, die leiden und sich nicht wohl fühlen, sich Hilfe zu holen, an sich zu arbeiten und die eigenen Kommunikations- und Verhaltensweisen zu reflektieren. Auch wenn man sich nicht als den Schuldigen ansieht. Richtig auf schwierige Situationen reagieren zu können, stets seinen eigenen Anteil am System erkennen wollen und Grenzen setzen zu können, zählt meiner Meinung nach zu den wichtigsten Eigenschaften für ein friedliches Miteinander.

Ich bin ein großer Befürworter der gewaltfreien Kommunikation…

Doch nur darüber reden bringt meiner Erfahrung nach keine Veränderung, dafür aber den ersten Schritt. Die Umsetzung ist ausschlaggebend. Man sollte sich stets vor Augen halten, dass es in der Vergangenheit auch mal andere Zeiten gegeben hat und es in Zukunft auch wieder ganz andere Zeiten geben wird. Das Leben bleibt nie so, wie es jetzt im Moment ist. Ich helfe Menschen in Patchwork-Familien dabei, jeden Tag eine bessere Version ihrer selbst zu werden. Geht es einem selbst besser, geht es auch der gesamten Patchwork-Familie besser.

Nina Bayer

Wie kann Patchwork funktionieren?

Mit Geduld, Kooperation und Empathie. Wer sich von dem Anspruch verabschiedet, dass alles von Anfang an perfekt laufen muss, hat schon den ersten Schritt zur harmonischen Patchwork-Familie getan.

Stiefeltern sollten vorerst auf Erziehungsmaßnahmen verzichten. Erziehungsmaßnahmen sind kein Profilierungsthema in einer Beziehung. Hier ist Kooperation gefragt. Auch sollten sie die Intimsphäre der Kinder beachten, vorerst nicht in die Pflege miteingebunden werden und auch vorsichtig mit körperlicher Nähe und Zärtlichkeiten sein. Auch sollte ein Stiefelternteil sich niemals aufopfern, dies wird aus Loyalitätsgründen von den Kindern meist nicht geschätzt.

Es ist wichtig, sich auf der Paarebene Zeitfenster zu schaffen und sich besonders den Refrain „Langsam wochs ma z`samm“ von Wolfgang Ambros zu Herzen nehmen.

„Langsam wochs ma z`samm“…

Es ist auch wichtig die Differenzen der verschiedenen Familien zu akzeptieren, niemals schlecht über andere zu reden. Kinder spüren Abneigungen und haben sensible Antennen, daher sollte auch bei einer großen Abneigung oder bei Unverständnis, Ärger oder Wut ein professionelles Gespräch gesucht und geführt werden, was bei Patchwork immer von Vorteil ist.

Erfolgreich patchworken jene, die ihre eigenen Bedürfnisse erkennen, diese auch wertschätzend und gewaltfrei mitteilen können, vor allem in Situationen, in den man sich ärgert oder in denen man sich nicht wohl fühlt.

Wann und wie stellt man den neuen Partner vor bzw. wann macht man es „offiziell“?
Ist man zu schnell unterwegs, kann es rascher zu Konflikten kommen, es bilden sich Lager und eine Annäherung wird erschwert. Feingefühl ist angesagt. Hier gibt es kein allgemeines Rezept.

Haben Sie selbst Erfahrungen mit dem Thema Patchwork-Familie gemacht?

Ich habe selbst seit meiner Jugend einen „Bonuspapa“ und ich habe stets sehr aus meiner Erfahrung profitiert. Und ich bin mir sicher, dass meine Herkunftsfamiliensituation mit überdurchschnittlich großen Herausforderungen sehr viel zu meiner Menschenkenntnis, meiner emotionalen und sozialen Intelligenz beigetragen haben. Entwicklungsgewinne kann es für Patchwork- und Scheidungskinder in den Bereichen Reife, Selbstbewusstsein und Einfühlungsvermögen geben, wenn dies unterstützt wird. Und hier bin ich meiner Mutter, die ihre Probleme mit meinem Vater niemals vor uns ausgetragen hat, sehr dankbar. Auch hat sie niemals ein schlechtes Wort über meinen Vater verloren und sich wahrscheinlich des Öfteren auf die Zunge beißen müssen.

Mit 24 Jahren zum ersten Mal Stiefmama…

Mit jungen 24 Jahren wurde ich übrigens in Schottland zum ersten Mal Stiefmama. Ich habe in den letzten 20 Jahren in meinem Freundes- und Bekanntenkreis im In- und Ausland überdurchschnittlich viele Erfahrungen mit Patchwork-Familien sammeln dürfen. Ich war früher sehr viel mit Menschen zusammen, die um einiges älter waren als ich. Heute sind die meisten Freunde jünger und vielleicht liegt es daran, weil ich mich in Familien mit kleinen Kindern sehr wohl fühle. Und heute verdiene ich mit „Kinderthema“ Geld. Zu meinen Bonuseltern und Bonuskindern, wie ich es gerne sage, hatte und habe ich stets ein liebevolles Verhältnis. Genauso wie zu meiner kleinen Tochter oder auch zu meinen leiblichen Eltern. Meine Ausbildung gekoppelt mit meinen Erfahrungen sind hier bis heute sicherlich sehr von Vorteil. Patchworken heißt Kommunikations- und Gefühls-Expertin werden. Diese Chance habe ich für mich sicherlich mehr als gut genützt.

Hier gehts zum vollständigen Presse Artikel!

 

Interessieren Sie sich für eine Beratung? Fragen Sie hier Ihren Beratungstermin an, ich freue mich auf Sie.